Die Klassifizierung von Ideen
Hoffnung im Angesicht von TV Tropes
Wenn man für eine längere Zeit dem endlosen Medien– und Geschichtenstrom unserer Zeit ausgesetzt ist, beginnt man unweigerlich, Muster zu erkennen. Manche Plots kommen einem geradezu absurd voraussagbar vor, manche Charaktere hat man irgendwie schon einmal gesehen. Ein vages Gefühl des Wiedererkennens greift um sich.
TVTropes.org, eine Seite, die in den letzten Tagen einen bedenklichen Teil meiner Freizeit in Anspruch genommen hat1, ist eine Manifestation dieses Gefühls. Die Grundmuster und Archetypen der Geschichten, denen wir ständig begegnen, sind dort aufgelistet. Ideen werden dort analysiert, verallgemeinert und einem Grundtyp, einem “Trope”2 zugeordnet. Das Ergebnis ist eine gigantische Bibliothek der Grundzutaten und Tricks, denen sich Geschichtenerzähler immer wieder bedienen. Ein Objekt, das eigentlich nur dazu dient, den Plot voranzutreiben? Nennt man einen Mac Guffin. Dumbledore3, Gandalf und Obi-Wan4? Alle drei Cool Old Guys und Old Masters. Ein Plan, den der Oberböse so geschickt aufgestellt hat, dass er in jedem Fall gewinnt? Ein Xanatos Gambit.
Vor ein oder zwei Jahren bin ich schon einmal über diese Seite gestolpert. Damals habe ich weder den Namen, noch den Inhalt des Gelesenen behalten, aber an ein Gefühl erinnere ich mich noch: Grauen. All meine so neu erscheinenden Ideen derart offensichtlich einer Kategorie zuzuordnen? All die Konzepte in irgendeiner Weise schonmal dagewesen? Waren die Filme, die ich liebte, die Bücher, mit denen ich so viele Stunden zugebracht hatte, einfach nur endlose Wiederholungen der immer gleichen Muster? Und würde Eleyon genauso sein, langweilig, klischeehaft, ohne eigene Identität?
Vielleicht nicht vollständig, aber das Wiederkehren gewisser Elemente und Muster ist kaum zu vermeiden. Doch die Tatsache, dass eine Idee einem Muster zugeordnet werden kann, muss noch nicht heißen, dass sie schlecht oder unoriginell ist. Es ist einfach, Geschichten so zu verallgemeinern, dass sie unter einen gemeinsamen Oberbegriff passen. Dabei werden nur die Gemeinsamkeiten mit anderen Geschichten beachtet, die Individualität, die Details, die Dekoration einer Geschichte werden zugunsten einer Klassifizierung nicht beachtet.
Supercomputer, die dem Wahnsinn verfallen, Abenteuerarchäologen, die in Tempeln längst verlorener Zivilisationen nach Schätzen jagen, verrückte Wissenschaftler, die nach der Weltherrschaft streben, all diese Elemente, oder Tropes, kennen und schätzen wir. Sie sind die Quintessenz aus tausenden Charakteren, ihr gemeinsamer Kern, dem jede Individualität abgeht. Wird dieser Kern ohne Ironie, ohne Änderung einfach übernommen, ist dies einfaches, langweiliges Klischee. Ohne Hintergrund, ohne Motivation, ohne Identität bleibt ein Charakter auf ein Klischee reduziert, er wird zum leblosen, austauschbaren Abziehbild. Was zählt, sind die Details, die Eigenheiten, die Ausgestaltung eines Charakters, die Dinge, die ihn von seinem Grundtyp abheben. Das gilt natürlich nicht nur für Charaktere, auch andere Teile eines Werkes lassen sich verallgemeinern, auch bei ihnen kommt es auf die Details an.
Die Elder Scrolls Reihe und der Witcher sind im Kern beide in einem Mitteleuropäischen Fantasy-Mittelalter angesiedelt, doch niemand würde sie als gleich bezeichnen. Sie unterscheiden sich in vielen kleinen Dingen, doch auf unterster Ebene spielen sie in einer ähnlichen, größtenteils technikfreien, feudalen Welt.5
Niemanden stört das, so funktioniert Fantasy nun mal. LordKain hatte durchaus recht mit seiner Aussage, es sei “kaum möglich heute noch etwas vollkommen Neues aus Story-Sicht zu erstellen” (Quelle). Was wirklich zählt ist, mit den verschiedensten Einflüssen umzugehen, sie zu vermengen, eigene Ideen hinzuzufügen und daraus ein zusammenhängendes, inspirierendes Ganzes zu machen. Egal, wenn irgendetwas schonmal da gewesen ist, wenn sich etwas unter einem “Trope” einsortieren lässt. Nur das Ergebnis zählt. Es hat keinen Sinn, sich krampfhaft zu bemühen, keinem bekannten Muster zu entsprechen. Sich vor der Katalogisierung seiner Idee zu fürchten ist reine Zeitverschwendung, die zudem noch ganz schön demoralisiert. Alten Ideen ein neues Gesicht geben, sie mit anderen Ideen zu verbinden, eigene Denkweisen und Ansichten in das Geflecht einzuweben, das ist der wahre Verdienst eines jeden Story-Schreibers. Keine Angst, wenn es schonmal da war. Ihr steht auf den Schultern von Giganten.
2 ↩ Männlich? Weiblich? Der Trope? Die Trope? Das Trope? Mir gefiel “der” besser, daher habe ich es mal gelassen.
3 ↩ Hat seinen eigenen Trope: The Dumbledore
4 ↩ Ebenfalls: The Obi Wan
5 ↩ Wobei Oblivion viel stärker Standard-Fantasy ist als Morrowind mit den Dwemern, dem Mangel an Pferden und der einzigartigen Architektur. Oblivion dagegen… Schlösser? Ritter? Kathedralen? Alles da!