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Der Geist von Morrowind

Review: The Infernal City

Als ich erfuhr, dass es einen Elder-Scrolls-Roman geben würde, war meine erste Reaktion nicht Freude, sondern Ablehnung. Bücher aus einem Computerspiel-Universum? So viel konnte dabei schiefgehen. Ich erwartete einen mittelmäßigen Fantasy-Roman, nur mit einer dünnen, oberflächlichen Elder-Scrolls-Lackierung versehen. Ein Buch, so wie Oblivion ein Spiel war. Hübsch, spannend, aber im Kern gewöhnliche Fantasy und nicht eine Reise in eine fremde, mystische Welt, wie es Morrowind gewesen war. Erst, als erste Informationen und schließlich ein Interview mit Greg Keyes (dem Autor) ins Internet tröpfelten, wurde ich hellhörig. Keyes hatte sich anscheinend doch ausführlich mit der Hintergrundgeschichte der Elder-Scrolls-Reihe, der Lore, auseinandergesetzt. Als das Buch dann erschien, war ich interessiert genug, um meine Finger über Amazons “One Click Buy”-Knopf ausrutschen zu lassen. Zwei Tage später kam Post.

Erwartet hatte ich Fantasy mit einem Hauch Elder Scrolls, was ich bekam, war wie eine Rückkehr in die fremdartigen Weiten Morrowinds. Das Buch beginnt in Schwarzmarsch, dem Sumpf Tamriels, Jahrhunderte nach den Ereignissen von Oblivion. Vieles hat sich verändert, das Imperium ist zerbrochen und wieder erstanden, Morrowind zerstört und von Argoniern überrannt. Ganz klar ist “The Infernal City” ein Buch für Fans, schon ab der ersten Seite wird man erschlagen mit Bezeichnungen, beiläufigen Anmerkungen und Hintergrundinformationen, die ganz deutlich eine gewisse Grundkenntnis der Lore voraussetzen. Doch zurück zum Buch, zurück nach Lilmoth, eine kleine Stadt an der Küste von Schwarzmarsch. Es ist eine gute Entscheidung, die Geschichte hier beginnen zu lassen, abseits von den bekannten Pfaden, die Spieler schon beschritten haben. Auch wenn die Atmosphäre dieses heißen, feuchten Landes, das an einen Regenwald denken lässt, ganz anders ist als die heißen Steppen Morrowinds, so ist das Erlebnis doch ein ähnliches. Von allen Seiten prasseln unbekannte Wörter und Informationsfetzen auf den Leser ein, fordern die Neugier heraus, zwingen zur genauen Beobachtungen, die einen verstehen lassen, was genau vor sich geht. Der Autor verzichtet größtenteils darauf, dem Leser Informationen direkt zu präsentieren, so wie Morrowind den Spieler auch alleine in die unbekannten Weiten Vvardenfells schickte.

Erstaunt konnte ich beobachten, wie mühelos Keyes die Grenze zwischen Spiel und Buch, zwei vollkommen unterschiedlichen Medien, überspringt. Auch ohne Grafik und Spielmechanik ist das Universum der Elder-Scrolls-Reihe in der Lage, seine Einzigartigkeit zu erhalten. Von der ersten Seite an fehlt die sonst so fantasytypische Schwarz-Weiß-Moral, es wird in Grautönen unterschieden, nicht in Absoluten. Keine der zahlreichen im Buch agierenden Organisationen kann die absolute moralische Überlegenheit für sich beanspruchen, kein Charakter ist ein flaches Abziehbild. Die genau ausgearbeitete, vielschichtige Hintergrundgeschichte der Elder-Scrolls-Reihe wird respektiert und weitergeführt, und scheint an allen Ecken und Enden durch. So verschlägt es die Hauptfiguren, für einen Sekundenbruchteil nur, auf die Shivering Isles, oder wir begegnen Hircine, dem Daedra der Jagd. So schafft es das Buch, die Atmosphäre, den Geist Morrowinds, auf ein anderes Medium zu übertragen, und den Leser genauso wie den Spieler in ein fremdartiges, vielschichtiges Universum eintauchen zu lassen, das auf bekannte Fantasy-Klischees größtenteils verzichtet.

Ein plakatives Beispiel dafür ist der Kronprinz Attrebus, eine der weiteren Hauptfiguren des Buches. Bei der ersten Begegnung mit dem Sohn des herrschenden Kaisers ertrinkt man förmlich in Klischees. Ein im Kampf bewanderter, gut aussehender, freundlicher Prinz, der mit seiner ganzen Garde persönlich befreundet ist und trotz seiner zarten Alters seine Heldenhaftigkeit schon oft unter Beweis gestellt hat? Zu schön, um glaubhaft zu sein, und ein Ur-Klischee der Fantasy. Lange müssen wir das glücklicherweise nicht ertragen. Der Prinz wird verraten und entführt, seine Garde lässt vollständig ihr Leben.

Was dann folgt, ist eine genüssliche Dekonstruktion des Prinzen-Klischees. Die Verräterin führt dem Prinzen – und uns – vor Augen, dass seine Heldentaten von langer Hand vorbereitet wurden, dass seine Erfolge auf Einflussnahme seines Vaters zurückgehen und nicht auf sein Kampfgeschick. Dies wird wunderbar illustriert von einer Kampfszene, bei der er, der angeblich unbesiegbare Schwertmeister, von der verräterischen Gardistin ohne Anstrengung mehrmals besiegt wird. Zurück lässt diese Szene einen gebrochenen Helden, der den Rest des Buches mit seiner Identitätsfindung beschäftigt ist, begleitet vom zynischen, übermächtigen Dunkelelfen Sul, der ihn aus den Händen seiner Entführer befreit hat. Diese Konstellation ist bei weitem interessanter als der perfekt-heldenhafte Kronprinz uns seine treu ergebene Garde.

Ein Großteil des Buches spielt jedoch in Umbriel, der titelgebenden “Infernal City”, in deren Schatten eine Armee von Toten immer weiter wächst. Hinter dieser auch recht klischeebehafteten Fassade verbirgt sich eine herrlich verdrehte, kleine Welt, die von den Seelen Unschuldiger in der Luft gehalten wird. Böse sind ihre Bewohner trotzdem nicht, oder zumindest nicht ausschließlich. Die Oberwelt der Herrscher Umbriels, der Lords und Ladies, kommt im Buch nicht vor, wir lernen stattdessen die unterirdischen Versorgungstrakte, und die Küchen kennen, in denen aus gewöhnlichen Zutaten und Seelen raffinierte Gerichte für die Lords zubereitet werden müssen. Die soziale Struktur dort basiert vollkommen auf der Kunst des Kochens, ein Szenario, das gleichzeitig an Walter Moers “Der Schrecksenmeister”1 und die Shivering Isles erinnert, und durch seine komplexe, phantasiereiche Ausgestaltung beeindruckt. Angesichts des Klappentextes, dessen Beschreibung Umbriels an einen schlechten Groschenroman denken lässt 2, hätte ich so etwas nie erwartet. Abermals, schlechte Erwartungen sind nicht immer richtig.

Nur das Ende, das sehr stark nach einer Fortsetzung schreit und die begonnenen Storylines nicht zu einem Abschluss bringt, ließ mich ein wenig irritiert und enttäuscht zurück, doch das Buch davor ist ein Fest für Elder-Scrolls-Fans und auch Fantasy-Leser, die kein Problem damit haben, nicht auf Anhieb alles zu verstehen und sich einiges selbst zu denken. Für mich war es wie eine Rückkehr nach Morrowind, in die einzigartige, mystische Atmosphäre Tamriels. Eine Heimkehr, sozusagen.

The Infernal City kann man für um die zehn Euro bei Amazon kaufen.

Edit am 23. 12. : Das Fazit ein wenig geändert.

1 Ein Buch, das wie alle Zamonien-Romane von Walter Moers, großartig und unbedingt zu lesen ist.
2 “[…] Umbriel, a floating city that casts a terrifying shadow–for wherever it falls, people die and rise again.”
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