Transzendieren beim Staubsaugen
Podcasts
Wenn es keine Podcasts gäbe, wäre meine Wohnung in einem katastrophalen Zustand, in der Küche würde der Schimmel auf den Stapeln ungewaschenere Teller nicht nur eine Zivilisation gründen, sondern schon die Mondlandung planen und auf dem Boden würden sich die mannshohen Staubhaufen langsam der kritischen Masse annähern.
Stattdessen herrscht ein relativ hohes Maß an Ordnung, was nur daran liegt, dass Podcasts langwierige, aber geistig anspruchslose Aufgaben erträglich machen. Wenn ich staubsaugen muss, höre ich kaum die infernalischen, an ein schlechtes Screamo-Konzert erinnernden Klänge des Staubsaugers, sondern Tim Pritlove, wie er einen seiner Gäste fachgerecht interviewt. Während meine Hände Teller einsortieren oder im Risotto rühren, kann sich der Rest meiner Person darauf konzentrieren, die Feinheiten von Ruby on Rails zu verstehen. Oder mit Holgi über Esoteriker lachen.
Natürlich, Stille beim Ausführen einer einfachen Tätigkeit kann auch hilfreich sein, dem Kehren einen beinahe meditativen Charakter geben. Denn ohne etwas, das intensive Konzentration erfordert, kann der Geist wandern, auf neue Ideen kommen. Jack Cheng hat dazu das wunderbare Essay “Doing the Dishes” geschrieben.
Es ist eine poetische Vorstellung, bei hirnloser Arbeit nur mit den eigenen Gedanken allein zu sein und so kreativ zu werden. Bei ständiger Berieselung verliert man auf Dauer auch jegliche Ruhe und vermutlich irgendwann den Verstand. Trotzdem, Transzendieren beim Staubsaugen stelle ich mir eher schwierig vor. Nachdenken bleibt wohl eher den stillen Aktivitäten vorbehalten, dem Blick aus dem Fenster mit einer Tasse Tee. Außerdem kann sich niemand pausenlos in seinen eigenen Geisteswelten bewegen–so schön das auch sein mag–neue Ideen und Blickwinkel kommen nur von Außen.
Bei mir ist diese Quelle–neben Twitter–das Anhören von Podcasts. Sie sorgen dafür, dass ich Zeit, in der ich Aufgaben erledigen muss, die mir keinen besonderen Spaß machen, nicht mehr als “verschwendet” ansehe, sondern mich geradezu darauf freue. Inzwischen hat es den Punkt erreicht, an dem ich größere Haushaltsaufgaben aufschiebe, bis eine neue Ausgabe meiner Lieblingspodcasts vorliegt. Was das über mich aussagt, möchte ich gar nicht so genau wissen.
Hier eine Liste mit den Podcasts, die ich momentan einigermaßen regelmäßig höre. Da ist für jeden was dabei!
NSFW
In diesem Podcast unterhalten sich Tim Pritlove und Holger Klein über… Hm. Über was eigentlich? Vermutlich über schlicht und einfach alles. Was dieses “alles” ist, variiert von Sendung zu Sendung. Immer wiederkehrende Themen sind Politik (das Versagen derselben), Essen und Trinken (mit On Air Öffnen und Verzehren von Geschenken), Medien (Filme, Musik, Bücher, Massenmedien) und Gesellschaft. Der Grundton ist absurd-selbstironisch, das Lachen dient Holgi aus Ausweg aus dem Wahnsinn der Welt. Die Aufnahmeprüfung eines jeden Fans in die Bruderschaft der NSFW-Hörer ist, in der S-Bahn einmal komisch angeguckt zu werden, weil man sich wegen NSFW lachend auf dem Boden wälzt.
Der Reiz von NSFW liegt im Unerwarteten, in der thematischen Abschweifen der beiden Podcaster, die unglaublich viel zu erzählen haben und dabei nicht langweilig werden. Bei den meisten anderen wäre dieses Format wohl unerträglich, die beiden bilden eine großartige Ausnahme.
Fanboys
Martin Pittenauer und Dominik Wagner, beide Mac-Entwickler, besprechen angenehm unaufgeregt und reflektiert das Tagesgeschehen in der Tech-Szene, empfehlen Filme und Spiele, beantworten Hörerfragen und berichten über die Verirrungen der Netzpolitik. Die beiden fassen sich recht kurz, was der Qualität der Nachbereitung auf jeden Fall zugute kommt (Kapitelmarken!), aber natürlich auch ein bisschen schade ist, denn den beiden Nerds höre ich gerne zu.
WRINT
Wrint ist ein recht junges Podcastprojekt von Holger Klein, eine Internet-Call-In-Sendung. Normalerweise ein Format, dass ich zutiefst verabscheue, funktioniert die Kombination aus Holgi und den wirklich unglaublich interessanten Anrufern perfekt. Höre ich besonders gern beim Autofahren, keine Ahnung, warum.
MobileMacs
Tim Pritlove (schon wieder!), Max Winde (http://twitter.com/343max), hukl (http://twitter.com/hukl) und Dennis Ahrens (http://twitter.com/denis2342) sprechen in epischer Länge (Folgen von über -drei- vier Stunden Länge sind normal) über alles, was auch nur ansatzweise mit Apple in Verbindung zu bringen ist. Dazu kommen noch Diskussionen über generelle Entwicklungen im Internet, gelegentlich auch Netzpolitik. Die große Anzahl an Podcastern stellt sicher, dass Themen differenziert betrachtet und ausführlich diskutiert werden. So ergeben sich auch die langen Folgen, die ich aber mit Freude in voller Länge höre.
CRE
Der Klassiker: Ein Interviewpodcast mit Tim Pritlove und immer wechselnden Gästen und Themen. Eine Ausgabe ist immer einem ganz bestimmten Thema gewidmet, das intensiv besprochen wird. Nach den ungefähr zwei Stunden, die eine Folge dauert, habe ich immer das Gefühl, meinen Wissenshorizont um ein gutes Stück erweitert zu haben.
The Show with zefrank
Dieser Podcast passt nicht so richtig ins Bild(Ha!), denn es handelt sich um einen Videopodcast. Und zwar einen alten, nämlich von 2006 und 2007. Er ist das Ergebnis eines Experiments: zefrank wollte jeden Tag eine Folge aufnehmen, und hat dieses Ziel auch beinahe durchgehend eingehalten. Bei jedem Anderen wäre wohl stundenweise Langeweile das Ergebnis gewesen, der herrlich surrealistische Humor des Herrn zefrank, der immer wirkt, als würde ihm ernstlich Schlaf fehlen, macht jede Episode zu einem neuen Erlebnis. Er singt, der kommentiert das politische Tagesgeschehen, denkt sich die absurdesten Aufgaben für seine Hörer aus– absolut sehenswert. Im Moment gibt es einen “Replay”-Podcast, der die Folgen jetzt, also fünf Jahre später, an ihren ursprünglichen Tagen wiederholt. Es ist erschreckend, wie aktuell das eine oder andere bissige Kommentar zur Politik auch heute noch ist.
Wir Müssen Reden
Michael Seemann und Max Winde sind zwei Menschen, die sehr viel Zeit damit verbringen, über das Internet und seine Bedeutung für die Gesellschaft nachzudenken, die auch die Diskurse verfolgen, die im Moment die “Netzgemeinde” beschäftigen. In ihrem Podcast diskutieren die beiden dann über diese Themen und stellen teilweise sehr gewagte Thesen auf. Ich bin selten uneingeschränkt mit dem einverstanden, was die beiden sagen, doch genau das macht den Reiz dieses Podcasts aus. Dadurch, dass die beiden ihre jeweiligen Meinungen ausbreiten und zuspitzen, werde ich dazu gezwungen, mir eine eigene zu bilden. Mir darüber klar zu werden, was Privatsphäre in Zeiten des Netzes bedeutet, ob materieller Besitz in naher Zukunft überflüssig ist oder wie ich über die Revolutionen im arabischen Raum denke, nur um eine Handvoll Beispiele zu nennen. Leider ist diese Empfehlung inzwischen veraltet, während dieser Artikel in der Korrekturhölle feststeckte, haben sich die beiden über irgendetwas Absurdes derart zerstritten, dass es keine weiteren Folgen mehr geben wird. Schade. Ich hoffe, dass der neue Podcast Logbuch:Netzpolitik die Lücke füllen kann.
BBC Global News
Ich erfahre die aktuellsten Nachrichten über Twitter, allerdings kommen selten die wirklichen Meldungen bei mir an, sondern nur die Meta-Scherze über die Berichterstattung. Es hat zwar eine eigene Faszination, aus einem Witz die tatsächliche Nachricht abzuleiten, aber manchmal ist klassische, beinahe altmodische Berichterstattung genau das richtige. Und wer bietet sich da besser an als die BBC? Genauer gesagt der Global News Podcast, der zweimal täglich erscheint und einen guten Überblick über das weltpolitische Tagesgeschehen bietet, ohne sich zu sehr in der Lokalpolitik einzelner Staaten zu ergehen. Besonders amüsant ist es natürlich immer dann, wenn über Deutschland berichtet wird, denn die Außenperspektive ist immer wieder faszinierend.
Ein Großteil der Berichterstattung wird von den Korrespondenten vor Ort bestritten, die wiederum direkt Betroffene interviewen. Auf diese Weise kommt man auch mit den seltsamsten Akzenten und Dialekten der englischen Sprache in Kontakt.
Schamlose Eigenwerbung: Retinacast
Es scheint normal zu sein, dass Podcasthörer irgendwann das Bedürfnis entwickeln, selbst mit dem Produzieren anzufangen. In meinem Fall habe ich mich mit einer Handvoll Bekannten aus dem shackspace zusammengetan, um über Serien zu reden. Ganz schamlos ist diese Empfehlung allerdings auch nicht, denn ich höre mir wirklich gerne die Folgen an, die wir produzieren. Natürlich am liebsten die, bei denen ich nicht dabei bin… meiner eigenen Stimme zu begegnen finde ich immer noch unheimlich.